Hintergrund:
Unter Nachhaltigkeitsrisiken versteht die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Ereignisse oder Bedingungen aus den Bereichen Umwelt, Soziales oder Unternehmensführung (Environmental, Social and Governance: ESG), „deren Eintreten tatsächlich oder potenziell negative Auswirkungen auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage sowie auf die Reputation eines beaufsichtigten Unternehmens haben können“.
Die umweltbedingten Risiken setzen sich aus zwei Gruppen zusammen, Transitionsrisiken (z. B. die Einführung von Umweltabgaben) sowie physischen Risiken (Waldbrände, Meeresspiegelanstieg, Stürme usw.), und können sich genauso stark auswirken wie Risiken aus den Bereichen Soziales und Unternehmensführung.
Am 20. Dezember 2019 hat die BaFin ein Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken für die von ihr beaufsichtigten Unternehmen veröffentlicht. Das Merkblatt soll die geltenden Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) ergänzen und dient als Orientierungshilfe für die Umsetzung von „Good Practices“.
Definition von Nachhaltigkeitsrisiken:
Nachhaltigkeitsrisiken im Sinne des Merkblatts werden als ESG-Risiken definiert. Aus Sicht der BaFin sollen Unternehmen der Finanzbranche alle ESG-Risiken berücksichtigen, die sich aus den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen ableiten. Beispiele sind:
- Environment: Klimaschutz, Schutz gesunder Ökosysteme, Abfallvermeidung, Recycling
- Social: Einhaltung anerkannter arbeitsrechtlicher Standards, keine Kinder- und Zwangsarbeit, keine Diskriminierung, angemessene Entlohnung, faire Bedingungen am Arbeitsplatz
- Governance: Nachhaltigkeitsmanagement durch Vorstand und Aufsichtsrat, Gewährleistung von Arbeitnehmerrechten und Datenschutz, Maßnahmen zur Verhinderung von Korruption
Wesentliche Bestandteile des Merkblatts:
Strategien und Risikomanagement
Nach Auffassung der BaFin stellen Nachhaltigkeitsrisiken keine separate Risikoart, sondern einen Teilaspekt der bereits bekannten Risikoarten dar, mit denen sich die Unternehmen auseinandersetzen sollen. Dies wiederum gilt es zu dokumentieren. Die Überprüfung der Strategien und eine den Risiken angemessene Geschäftsorganisation bilden dabei den Ausgangspunkt der Auseinandersetzung, insbesondere im Hinblick auf die Vorbildfunktion und die Gesamtverantwortung der Geschäftsleitung für die Geschäfts- und Risikostrategie („Tone at the top“).
Als zentraler Punkt des
BaFin-Merkblatts wird das Risikomanagement
abgebildet. Unter besonderer Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken
und der Beibehaltung des Proportionalitätsprinzips sind die bestehenden Risikoidentifikations-, -steuerungs- und -controllingprozesse
sowie die Risikoberichterstattung zu überprüfen und ggf. weiterzuentwickeln. Außerdem sollten
die unternehmensindividuellen Stresstests einschließlich der Szenario-Analysen
hinsichtlich einer sinnvollen Abbildung von Nachhaltigkeitsrisiken und eines möglichen
Anpassungsbedarfs überprüft werden.
Kreditprozesse und Rating
Auch in den Prozessender Kreditgewährung und -weiterbearbeitung, wie z. B. bei Bonitätseinschätzungen zur Beurteilung von Adressenausfallrisiken, sind zukünftige Risiken und somit auch Nachhaltigkeitsrisiken einzubeziehen – insbesondere Branchen- und ggf. Länderrisiken, die durch Nachhaltigkeitsrisiken noch verstärkt werden können.
Klassische Kreditratings gemäß der EU-Ratingverordnung berücksichtigen ausschließlich die für die Beurteilung der Bonität eines Unternehmens bzw. des Kreditrisikos eines Finanzinstruments notwendigen Faktoren, d. h. auch die ESG-Faktoren. Um die Aussagekraft eines Ratings über Ausfallwahrscheinlichkeiten nicht zu verfälschen, sollten die ESG-Faktoren jedoch nur berücksichtigt werden, wenn sie tatsächlich Einfluss auf die Bonität oder das Kreditrisiko haben. Um die Nachhaltigkeit von Finanzanlagen beurteilen zu können, bieten sich stattdessen spezielle ESG-Ratings an, die inzwischen am Markt gehandelt werden. Allerdings sollten reine ESG-Ratings ohne Bezug zum Kreditrisikovon den klassischen Kreditratings klar getrennt werden, um einer Verwässerung der Ergebnisse vorzubeugen.
Auslagerungen
Schlussendlich rät die BaFin auslagernden Instituten, den Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken in der Auslagerungsrichtlinie zu organisieren. Es sollte u. a. geprüft werden, welche Geschäftsfelder oder Prozesse von wesentlichen Nachhaltigkeitsrisiken betroffen sind und welche Regelungen mit den Dienstleistern standardmäßig getroffen werden müssen. Weiterhin ist zu prüfen, ob die Berichtspflichten der Dienstleister ausreichen, um den externen Nachhaltigkeitsberichterstattungspflichten zu genügen. Nachhaltigkeitsrisiken sind außerdem in die Risikoanalyse zur Identifikation von wesentlichen Auslagerungen miteinzubeziehen.
Fazit/Ausblick:
Das Bewusstsein für nachhaltigen Konsum und nachhaltige Investitionen wird bei den Verbrauchern und Unternehmen weiter zunehmen. Daher ist es möglich, mittels Anpassung bestehender Geschäftsmodelle neue Wachstumspotenziale zu generieren – z. B. über neue Geschäftsfelder im Bereich „Green lending“.
Allerdings werden umfassendeorganisatorische, prozessuale und methodische Maßnahmen in den Bereichen Markt, Marktfolge, Risikocontrolling, Compliance, Revision und Notfallmanagement notwendig sein, damit die Institute widerstandsfähig und erfolgsorientiert auf die Auswirkungen von Nachhaltigkeitsrisiken reagieren können.
Mit weiteren regulatorischen Anforderungen im Bereich Nachhaltigkeit seitens der Aufsichtsbehörden muss daher gerechnet werden. Außerdem wird die Aufsicht den Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken auch im Rahmen des laufenden aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozesses (SREP) überwachen.
Handlungsbedarf:
- Identifikation und Bewertung relevanter Nachhaltigkeitsrisiken sowie deren Übersetzung in die klassischen Risikoarten
- Überprüfung der Geschäfts- und Risikostrategie sowie der Prozesse im Risikomanagement hinsichtlich möglicher Anpassungsbedarfe
- Identifikation von Aufgaben, Verantwortlichkeiten und zeitlichem Rahmen für die Beurteilung, Steuerung, Überwachung und Berichterstattung von Nachhaltigkeitsrisiken
- Überprüfung der Kreditprozesse, der Bonitätseinschätzungen auf Basis von Ratings und der Auslagerungsregelungen
- Dokumentation aller Anpassungen in der schriftlich fixierten Ordnung