Eckpunkte der BaFin Konferenz „Sustainable Finance“ vom 13.09.2022 – WORK IN PROGRESS

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ǀ Auf der Konferenz äußerten sich Vertreter der Aufsicht und der Politik über Maßnahmen und die Rolle der Finanzbranche bei der Umsetzung des europäischen Ziels der Klimaneutralität bis zum Jahr 2050.

Die angesprochenen Aspekte stellen wir für Sie nachfolgend in zusammengefasster Form dar und geben anschließend weiterführende Handlungsempfehlungen.

Wie die Gesprächsbeteiligten zutreffend formulierten, könne die Transformation der Realwirtschaft nur gelingen durch die Finanzierung von Nachhaltigkeitsinvestitionen seitens der Finanzwirtschaft. Insofern würden die beaufsichtigten Institute quasi in Mithaft genommen werden. Kreditinstitute wie auch Investoren am Kapitalmarkt benötigen für ihre Finanzierungs- bzw. Investitionsentscheidungen alle notwendigen Informationen über Chancen und Risiken der finanzierten Aktivitäten, auch im Hinblick auf ESG-Effekte. Nachhaltigkeitsrisiken sind per se keine neue Risikokategorie, aber ein neuer Treiber für Risiken, deren Auswirkungen in Art, Höhe und Zeithorizont für alle Akteure noch schwer zu bemessen bzw. zu modellieren sind. Ökologisch nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten bergen zudem nicht weniger Risiken, sondern gerade Pionierprojekte können hoch risikoreich sein. Zudem geht die Umweltfreundlichkeit einer Aktivität oder eines Unternehmens nicht zwingend einher mit der Einhaltung sozialer Mindeststandards oder einer guten Unternehmensführung. Diese Bewertung in der Gesamtheit stellt die Finanzinstitute vor Herausforderungen, für die sie praxistaugliche Lösungsansätze benötigen.

Anders als die Agenda-Punkte „Umgang mit nicht-quantifizierbaren Risiken am Beispiel ESG“ und „Implementierung von ESG in Risikomanagementsysteme“ suggerieren, waren – wenig überraschend – keine konkreten Umsetzungsempfehlungen durch die beaufsichtigten Institute abzuleiten. Vielmehr war es der Aufsicht ein Anliegen, die Finanzinstitute darin zu bestärken, selbst den Trial-and-error-Weg zu gehen und eigene Instrumente zur Erfassung und Bewertung von Nachhaltigkeitsrisiken zu entwickeln und einzusetzen. Zweck der Bewertung von ESG-Risiken sei nach einhelliger Meinung der BaFin-Vertreter nicht die Umsetzung regulatorischer Anforderungen wie der erwarteten MaRisk 8.0, sondern der Selbstschutz der Institute. Erfahrungen im Umgang mit ESG-Risiken fehlten sowohl auf Seiten der Institute als auch auf Seiten der Aufsicht, weshalb ein gegenseitiges Lernen und ein kontinuierlicher Austausch über eine Best Practise umso wichtiger seien.

Erkenntnisse, die die Aufsichtstätigkeiten bisher gezeigt hätten, wurden in einer Gesprächsrunde durch Dr. Frank Grund (Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht der BaFin), Dr. Thorsten Pötzsch (Exekutivdirektor Wertpapieraufsicht der BaFin) und Raimund Röseler (Exekutivdirektor Bankenaufsicht der BaFin) dargelegt. ESG Risiken seien in den Banken nicht ausreichend abgesichert und berücksichtigt, das hätte der EZB Klimastresstest gezeigt. Danach hätte nur eine Minderheit der großen Banken eigene Stresstests zu Klimarisiken durchgeführt, noch weniger Kreditinstitute würden ESG bei der Kreditvergabe explizit berücksichtigen. Nicht erfüllt werde die Erwartungshaltung der Aufsicht aktuell auch in der Versicherungswirtschaft und bei der Wertpapieraufsicht. Berücksichtigung finden müsse bei dieser Bewertung allerdings die Tatsache, dass das Umfeld der ESG Regulierung und Standardsetzung noch immer extrem dynamisch sei und eine verbindliche Regulierung für die Institute noch im Entstehen ist. Dennoch müsse der Aufseher konkrete Entscheidungen treffen, die ggf. regelmäßig aktualisiert oder revidiert werden müssten. Beispielsweise werde bei den ESG Stressszenarien ein zugrunde zu legender Temperaturanstieg von 2 Grad Celsius erwartet. Klargestellt wurde, dass die Entscheidung über die Methodik zur Integration von ESG Risiken in den Risikomanagementprozess zwingend auf Geschäftsleiterebene zu treffen sei. Die Implementierung eines Nachhaltigkeitsressorts sei zudem horizontal in der Aufbauorganisation der Institute zu verankern.

Obgleich die Vertreter der BaFin die Bedeutung der Proportionalität im Rahmen der Aufsichtstätigkeit als hohes Gut erachteten, werde jedoch explizit auch von kleinen Banken verlangt, sich mit wesentlichen Risiken auseinanderzusetzen, auch mit Nachhaltigkeitsrisiken. Die Anforderungen an Methoden und Aufwand seien bei kleinen Instituten allerdings weniger anspruchsvoll. Bei einer Nichtverfügbarkeit von Daten, könne auf Daten von Dritten oder Branchenschätzungen zurückgegriffen werden, allerdings nicht, ohne diese zu plausibilisieren und zu hinterfragen, z. B. wie hoch die Aussagekraft von ESG Ratings in Bezug auf die eigenen Informationsbedürfnisse sei.

Nach Aussage von Raimund Röseler wären die Bankenstresstests nur ein Auftakt. Die EBA hätte den Auftrag bekommen, bis Ende des Jahres ein eigenes Stresstestwerk zu entwickeln. An die Stresstestergebnisse würden jedoch keine Kapitalanforderungen geknüpft werden, vielmehr erwarte die Aufsicht eine Berücksichtigung in Säule 2 und würde die Ergebnisse in den Aufsichtsgesprächen adressieren.

Die Konsultation der MaRisk 8.0 werde in den nächsten Tagen (bis Ende September 2022) starten.

Weiterer wesentlicher Aspekt der Konferenz war die Offenlegung von Nachhaltigkeitsinformationen. Wie BaFin Präsident Mark Branson zutreffend herausstellte, überschreitet das Betreiben von Umweltpolitik das Mandat der BaFin ebenso wie die Definition eigener Nachhaltigkeitskriterien oder Präferenzen abweichend von der EU Taxonomie. Zentrale Aufgabe der deutschen Bankenaufsicht sei die Sicherung der Finanzmarktstabilität und in diesem Kontext die Stärkung des Anlegervertrauens. Im Hinblick auf grüne Finanzprodukte sei die Vermeidung von Greenwashing und die Schaffung von Transparenz über die Nachhaltigkeit von Finanzprodukten erklärtes Ziel der Aufsicht. Verbraucher und Investoren müssten sich aufgrund der bereitzustellenden Informationen ein realistisches Bild davon machen können, wie ökologisch nachhaltig die von ihnen gewählte Anlage tatsächlich sei. Dieser Hintergrund spiele genauso eine Rolle bei den Zulassungsprüfungen der BaFin hinsichtlich nachhaltiger Fondsprodukte, von denen die BaFin seit August 2021 bereits 167 zugelassen hätte.

Ein einfaches Labeling im Sinne eines „Grün-ja/nein“ könne jedoch nicht die Lösung sein, da die unterschiedlichen Präferenzen der Verbraucher und Investoren darin keine Berücksichtigung fänden. In diesem Zusammenhang ist die von Mark Branson angeführte Verpflichtung von Finanzberatern in der EU zu erwähnen, seit August 2022 eine Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden durchzuführen. Diese Maßnahme solle letztlich die Beratungsintensität zum Thema Nachhaltigkeit erhöhen.

Kritisch äußerte sich der BaFin Präsident dagegen zu der aktuell stattfindenden Vermischung von politischem und wissenschaftlichem Diskurs. Aufgabe der Wissenschaft sei es zu definieren, was nachhaltig im Sinne der Umwelt sei. Die Politik hätte darauf basierend zu entscheiden, welche Energiequellen benötigt werden würden für einen Übergang in eine nachhaltige Wirtschaft. Eine Beeinflussung des wissenschaftlichen Prozesses, um ein gewünschtes politisches Ergebnis zu erzielen, wie im Falle der Übergangstechnologien Atom- und Gaskraftwerke, berge das Risiko, dass Anleger verschreckt würden. Deshalb sei eine größtmögliche Transparenz über die Finanzprodukte und eine ausreichend differenzierte Beratung zur Stärkung der Eigenverantwortung der Anleger umso wichtiger.

Marcel Haag, Direktor für Horizontale Angelegenheiten der EU Kommission, verwies ebenfalls darauf, dass der Finanzierungsbedarf von Investitionen in eine klimaneutrale, klimaresiliente und ressourceneffiziente Wirtschaft enorm und ohne die Privatwirtschaft nicht zu stemmen sei. Anleger- und Investorenvertrauen setzten dementsprechend eine angemessene Transparenz bei der Offenlegung von Informationen und der Nachhaltigkeitsberichterstattung voraus. Zu diesem Zweck sei die Einhaltung verbindlicher Standards unumgänglich. Welche Rolle die EFRAG und das ISSB dabei spielen könnten, wurde im weiteren Verlauf der Veranstaltung – auch mit dem per Video zugeschalteten Vorsitzenden des ISSB, Emmanuel Faber, besprochen. Dieser ging zudem auf die Zusammenarbeit des ISSB mit den Zentralbanken und der TCFD, der Task Force des FSB ein. Zentral seien hierbei eine Zusammenarbeit der Gremien bei der Ausarbeitung der Standards sowie die Berücksichtigung u. a. von Proportionalitätsgrundsätzen, um den Aufwand bei den jeweils berichtspflichtigen Unternehmen möglichst gering zu halten.

Zum Hintergrund

Die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) wurde im Jahr 2001 mit Sitz in Brüssel gegründet. Primäres Ziel des Vereins war es ursprünglich, die EU Kommission bei dem Prozess der Anerkennung (Endorsement) der International Financial Reporting Standards (IFRS) zu unterstützen. Die IFRS werden von dem international besetzten privatwirtschaftlichen Gremium von Rechnungslegungsexperten IASB mit Sitz in London herausgegeben. Im Rahmen der geplanten Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) wurde die EFRAG im Mai 2021 von der Europäischen Kommission mit der Erarbeitung von Entwürfen für European Sustainability Reporting Standards (ESRS) beauftragt. Diese Standards sollen die neuen Vorschriften zur Nachhaltigkeitsberichterstattung der geänderten europäischen Rechnungslegungsrichtlinie präzisieren. Die EFRAG hatte den ersten Satz ihrer ESRS-Entwürfe im April 2022 mit der Bitte um Stellungnahme bis zum 8. August 2022 veröffentlicht. Unternehmen, die berichtspflichtig nach der CSRD sind, haben auch die Vorgaben nach Art. 8 der EU Taxonomie-Verordnung zu erfüllen.

Im November 2021 kündigte die IFRS Foundation die Gründung eines eigenen Standardsetzungsgremiums zur Erarbeitung internationaler Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung an. Sitz des International Sustainability Standards Board (ISSB) ist Frankfurt am Main. Das Gremium hat ebenfalls im April 2022 die ersten beiden Entwürfe seiner Nachhaltigkeitsstandards zur Kommentierung veröffentlicht, allerdings nicht mit Fokus auf Informationen über die drei Nachhaltigkeitsdimensionen Umwelt, Soziales und Governance, sondern viel mehr aus Sicht der Investoren zur Beurteilung des Unternehmenswertes.

Hinsichtlich der Berichterstattung über klimabezogene Risiken und Chancen zur Nutzung im Finanzsektor war bereits im Dezember 2015 die Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) als Initiative vom Financial Stability Board (FSB) ins Leben gerufen worden. Das FSB ist ein internationales Gremium, das mit Unterstützung der G20-Mitglieder gegründet wurde, um die internationale Finanzstabilität zu fördern. Die von der TCFD bereits im Jahr 2017 entwickelten vier Empfehlungen beziehen sich auf Governance, Strategie, Risikomanagement und Messgrössen im Hinblick auf klimabezogene Risiken und Chancen und bieten einen Rahmen für die Entwicklung von klimabezogenen Finanzinformationen innerhalb bestehender Berichterstattungsprozesse. Damit sollen Investoren, Kreditgebern und Versicherungsunternehmen die notwendigen Nachhaltigkeitsinformationen von Unternehmen für ihre Finanzierungs- und Investitionsentscheidungen zur Verfügung gestellt werden.

Die große Herausforderung, vor der die Finanzinstitute stehen, um die notwendigen Nachhaltigkeitsinformationen auf der Kundenseite zu gewinnen, wurde auch von den Vertretern aus Politik und Aufsicht als solche erkannt, was u. a. in dem Vortrag von Susanne Schenker aus dem Referat Bilanzrecht der BaFin deutlich zum Ausdruck kam. Insbesondere die Tatsache, dass viele von den Banken finanzierte Unternehmen ggf. einen ersten Nachhaltigkeitsbericht erst im Jahr 2026 oder 2027 zu erstellen haben, warf die Frage auf, wie der Informationsbedarf zur Umsetzung der eigenen Offenlegungsanforderungen der Institute bis dahin erfüllt werden könne. Eine Informationsquelle der Finanzinstitute stellten ESG Ratings dar, deren Aussagekraft aufgrund der unterschiedlichen Kriterien der Ratingagenturen jedoch aktuell sehr beschränkt ist. Inwiefern die geplante Vereinheitlichung von Regeln und Standards zur Bildung von ESG Ratings, die auch auf europäischer Ebene vorangetrieben wird, eine Transparenzverbesserung bringt, bleibt abzuwarten.

Relevanz erhält das Thema Informationsbeschaffung und –analyse auch im Hinblick auf die Green Asset Ratio. Diese Kennzahl setzt den Anteil nachhaltiger Finanzierungen (auf Basis der EU Taxonomie) ins Verhältnis zur Gesamtaktiva einer Bank. Als problematisch stellt sich nicht nur die eingeschränkte Informationsverfügbarkeit bezüglich der finanzierten Unternehmen heraus. Zudem bildet die EU-Taxonomie bislang nur einen Teil der Wirtschaft ab und berücksichtigt beispielsweise keine „Zwischenstufen“, also z. B. Aktivitäten, die zwar CO2-Emissionen einsparen, aber nicht alle der Taxonomie-Kriterien erfüllen. Außerdem werden nicht alle Assetklassen (z. B. Staatsanleihen) und auch nicht Kredite an kleinere Unternehmen, selbst wenn sie grün sind, im Zähler erfasst, sehr wohl jedoch im Nenner der Kennzahl.

Konkrete Umsetzungshinweise in Bezug auf den Informationsbeschaffungs- und Bewertungsprozess blieben auf der Veranstaltung erwartungsgemäß aus. Lediglich der Hinweis, dass die Institute durch Anwendungshinweise, FAQs und verschiedene privatwirtschaftliche und EU Initiativen zur Klärung praktischer Implementierungsfragen Unterstützung finden sollen und werden, wurde an das Plenum und die digital zugeschalteten Teilnehmer gegeben. Zu den Q&As der BaFin wurde angemerkt, dass sich die Aufsichtsbehörde grundsätzlich an die Auslegung der EU Kommission gebunden sieht und lediglich bei darüber hinausgehenden Fragestellungen eigene Q&As veröffentlicht, sofern diese nicht bereits durch die Q&As der ESA abgedeckt sind. Geprüft werde gemäß Marcel Haag seitens der EU aktuell, welche Anwendungserleichterungen hinsichtlich der Berichterstattungspflichten für kleine und mittlere Unternehmen geschaffen werden könnten.

Christian Heller, Stellvertretender Vorsitzender des Sustainable Finance-Beirats der Bundesregierung, stellte in seinen Keynotes heraus, dass es das Ziel der deutschen Bundesregierung sei, Deutschland zum führenden sustainable finance Standort zu machen. Dafür sei eine sustainable finance Strategie mit internationaler Reichweite erforderlich. Damit die Transformation der Unternehmen aus Sicht der Stakeholder (u. a. Finanzmarkt, Shareholder, Mitarbeiter) zu einem wahrnehmbaren unternehmerischen Erfolg führe, müsse dieser messbar sein und aus der Rechnungslegung transparent abgeleitet werden können. Dies zu erreichen und die internationale Anschlussfähigkeit deutscher Unternehmen zu sichern, sei Gegenstand des Ende September zu veröffentlichenden Arbeitsprogramms des Beirats für die nächsten drei Jahre. Von der BaFin erwarte der Beirat klare und konsistente Regeln hinsichtlich der Identifikation und des Managements von ESG Risiken.

Dr. Florian Toncar, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen (BMF), ergänzte die Ausführungen insofern, als dass er darauf hinwies, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland immer noch stark industriell geprägt sei, was besondere Herausforderungen für die Transformation mit sich bringe. Durch die CSRD wird sich die Zahl der berichtspflichtigen Unternehmen in Deutschland von 500 auf 15.000 verdreißigfachen, während auf europäischer Ebene lediglich eine Verfünffachung (von 11.000 auf 50.000 Unternehmen) zu verzeichnen sein wird. Zudem können auch Unternehmen, die nicht unmittelbar unter die CSRD fallen indirekt betroffen sein (z. B. im Rahmen von Dienstleistungs- und Lieferketten). Gerade der Mittelstand verfüge über wenig Ressourcen für eine Nachhaltigkeitsberichterstattung. Präferiert werden müssten demnach weitestgehend technische Lösungen, z. B. zur Ermittlung des CO2 Fußabdrucks. Zur Vermeidung eines unnötigen Mehraufwands durch unterschiedliche Standardwerke verwies Dr. Toncar auf die Baseline des ISSB, zu der sich die G7 bekannt hätten. Auch die Standards der EFRAG sollten sich im Rahmen dieser Baseline bewegen. Außerdem stelle sich die Frage, wie umzugehen sei mit Gütern, die CO2-intensiv außerhalb Europas hergestellt würden. Die Exportchancen von EU-Gütern könnten durch so genannte Klimaclubs gesichert werden, in denen sich große Industriestaaten z. B. auf CO2– Preissysteme einigen könnten. In diesem Kontext ist auch die von Marcel Haag in der Gesprächsrunde getroffene Aussage zu bewerten, dass die chinesische Taxonomie wesentlich kürzer, weniger ambitioniert und „trotzdem interessant“ sei. Vor dem Hintergrund der Vielfalt der unterschiedlichen Jurisdiktionen sei eine globale Initiative zur Taxonomie auf absehbare Zeit nicht zu erwarten.

Hinsichtlich der Einführung einer sozialen Taxonomie herrschte bei den Gesprächsteilnehmer Skepsis, da sich eine solche Taxonomie weniger auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse stützen könne, sondern vielmehr werteorientiert und von einer subjektiven Wahrnehmung geprägt wäre. Die Anspruchshaltung in Bezug auf soziale Standards sei selbst in der EU sehr unterschiedlich. Zudem müssten erst einmal die klimabezogenen Berichterstattungspflichten vereinheitlicht werden und in der Praxis anwendbar sein. Auf der Agenda stünden dann technische Arbeiten für die verbleibenden vier Umweltziele, zu denen die Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen die Europäische Kommission berät. Außerdem seien soziale Mindeststandards auch in der Klimataxonomie mit berücksichtigt. Eventuell könnte eine Umsetzung der Anforderungen des deutschen Lieferkettengesetzes auf europäischer Ebene einen Beitrag zu einheitlichen sozialen Mindeststandards liefern.

Fazit

Was der Veranstaltung fehlte, war ein Perspektivwechsel zu den Finanzinstituten, die den nicht unerheblichen Aufwand für die nachhaltigkeitsbezogene Umstellung ihrer Prozesse, Systeme und Strategien zu tragen haben. Betroffen sein dürftendabei nahezu sämtliche Geschäftsprozesse, unter Umständen das Geschäftsmodell der Institute selbst. Sowohl die Datenerhebung auf der Kunden- und Anlageproduktseite als auch die Verarbeitung und Generierung von offenlegungsreifen Informationen und KPIs verursachen Sach- und Personalkosten, die gerade von kleineren Instituten nur schwer zu stemmen sein dürften. Auch wenn die zentrale Aussage der Aufsicht nicht zwingend wie ein kämpferischer Aufbruch daherkommt, trifft sie des Pudels Kern: Die Institute müssen sich so schnell wie möglich mit den geänderten klimatischen und in Folge dessen auch weltpolitischen Rahmenbedingungen auseinandersetzen – nicht um regulatorische oder gesetzliche Anforderungen zu erfüllen, sondern um dem eigenen Institut eine wirtschaftliche Zukunft zu geben.

Handlungsempfehlungen

  • Für das komplexe Thema Nachhaltigkeit gibt es keine einfache Lösung. Zudem ist der Weg durch Politik, Aufsicht und Stakeholder noch nicht klar gezeichnet. Nutzen Sie zur Datengewinnung, -verarbeitung und -offenlegung deshalb ein möglichst offenes und jederzeit individuell erweiterbares System, das sich aus Ihrem zentralen ESG Datenhaushalt speist.
  • Der Transformationsprozess Ihres Instituts sollte auf Basis eines ganzheitlichen Konzepts erfolgen, beginnend mit einer Geschäftsmodellanalyse.
  • Binden Sie unbedingt Ihre Mitarbeiter frühzeitig und aktiv in den Transformationsprozess ein. In Zeiten eines sich immer weiter verschärfenden Fachkräftemangels sind diese Ihre wichtigsten Stakeholder.
  • Setzen Sie schon im Rahmen der Erstellung Ihres Nachhaltigkeitskonzepts auf automatisierte Prozesse und KI-Tools, es sollten bei den zukünftigen Prozessabläufen möglichst wenig Personalressourcen beansprucht werden. Auch für kleinere Häuser bestehen am Markt bereits zahlreiche gut durchdachte und erschwingliche Technologien (z. B. im Bereich Textextraktion und Robotic Process Automation).
  • Orientieren Sie sich bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung nicht ausschließlich an der EU Taxonomieverordnung und der Offenlegungsverordnung. Der danach geforderte Umfang und Gegenstand der zu veröffentlichenden Daten trifft nicht zwingend den Informationsbedarf Ihrer eigenen Anspruchsgruppen. Auch die PRI und die Empfehlungen der TCFD können wertvolle Hinweise liefern. Außerdem spricht nichts gegen eine eigeninitiierte Befragung Ihrer Stakeholder, sofern Sie ansprechend durchgeführt wird. Auf diesem Wege zeigen Sie Ihren Kunden, Mitarbeitern, Anteilseignern und Mitgliedern zudem, dass für Ihr Institut Nachhaltigkeit ein ernsthaftes Anliegen ist.     
  • Bewerben Sie nur die Produkte als nachhaltig, die es im Sinne der EU Taxonomieverordnung wirklich sind.
  • Stellen Sie durch ausreichende Schulungen sicher, dass Ihre Berater über die notwendigen Kenntnisse verfügen, um die Kunden hinsichtlich nachhaltiger Anlagen qualitativ hochwertig beraten zu können. Schaffen Sie selbst eine Nachhaltigkeitskultur, damit Nachhaltigkeit nicht nur ein reines Verkaufsargument für Ihre Mitarbeiter ist.

Aufgrund unserer laufenden Prüfungs- und Beratungstätigkeiten in zahlreichen Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten in ganz Deutschland sowie unserem regelmäßigen Austausch mit Vertretern aus Wissenschaft, Verbänden und Aufsicht verfügen wir über das notwendige Best Practise-Wissen für Ihren Transformationsprozess sowie die verschiedenen Anforderungen an eine Nachhaltigkeitsberichterstattung. Wir unterstützen Sie gern.

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