Neues Kaufrecht ab 1. Januar 2022 bringt viele Veränderungen


Alles neu zum neuen Jahr!

ǀ Durch das neue Recht werden zwei EU-Richtlinien – die Warenkaufrichtlinie (EU-RL 2019/771) und die Richtlinie über die Bereitstellung digitaler Inhalte und Dienstleistungen (EU-RL 2019/770) – in nationales Recht umgesetzt, wodurch sich das Schuld- und Kaufrecht im BGB weitreichend ändert.

Kurz gesagt: Das Schuldrecht und das Kaufrecht werden ‚digitaler‘. Dazu gehören die Anerkennung digitaler Zahlungsmittel wie Bitcoin oder E-Coupons (§ 327 Abs. 1 BGB) und die Möglichkeit, bereitgestellte digitale Inhalte mit personenbezogenen Daten ‚zu bezahlen‘ (§ 312 Abs. 2 BGB). Die Änderungen ziehen auch neue Informationspflichten des Unternehmers gegenüber dem Verbraucher nach sich und zielen damit auf einen weitreichenden Verbraucherschutz ab.


Einige wichtige Neuerungen im Überblick

1. Neuer Vertragstyp

Bei den Verbraucherverträgen wird mit § 327 BGB ein neuer Vertragstyp eingeführt, der die Bereitstellung digitaler Inhalte/Dienstleistungen durch den Unternehmer an den Verbraucher zum Inhalt hat, z. B. Streaming-Dienste, Software-as-a-Service-Verträge und Cloud-Dienste. Ausdrücklich ausgenommen sind bestimmte Verträge wie beispielsweise Verträge über Finanzdienstleistungen (Abs. 5 Nr. 5) oder Verträge, im Rahmen derer der Unternehmer lediglich digitale Mittel/Formen zur Erbringung der Dienstleistung einsetzt (Abs. 5 Nr. 1). Dabei kann es auch sogenannte Paketverträge oder Verträge von Sachen mit digitalen Elementen geben (§ 327a BGB), z. B. Computer/Laptops mit Softwarepaketen oder intelligente Kühlschränke, die auch Einkaufslisten erstellen.


2. Neues Zahlungsmittel

§ 327 stellt in Abs. 1 ausdrücklich fest, dass digitale Inhalte/Dienstleistungen gegen Zahlung eines Preises bereitgestellt werden, wobei dies auch durch die „digitale Darstellung eines Werts“ geschehen kann. Diese Formulierung stellt auf die mittlerweile 60 existierenden digitalen Währungen wie Bitcoin und Ether oder auch E-Coupons/-Gutscheine ab. Das bedeutet, dass digitale Währungen als legitimes Zahlungsmittel anerkannt werden. Darüber hinaus hält über die allgemeinen Regeln und Aufklärungspflichten der §§ 312 ff. BGB auch die Möglichkeit Einzug, dass sich der Unternehmer digitale Dienste/Inhalte mit personenbezogenen Daten der Verbraucher ‚bezahlen‘ lassen kann.


3. Neuer Sachmangelbegriff und andere neue Begriffe

Der Sachmangelbegriff war die letzten 20 Jahre subjektiv von der „vereinbarten Beschaffenheit“ geprägt. Nun treten im Verbrauchervertragsrecht für das digitale Produkt drei neue Elemente auf (§ 327e BGB): die subjektiven und die objektiven Anforderungen sowie die „Anforderungen an die Integration“, die jeweils definiert werden.

  • Demnach umfassen die subjektiven Anforderungen sowohl die „vereinbarte Beschaffenheit“ – einschließlich der Menge, der Funktionalität, Kompatibilität und Interoperabilität – als auch die „vorausgesetzte Verwendung“ nach dem Vertragszweck, die vereinbarten Aktualisierungen und die komplette Auslieferung mitsamt Zubehör, Anleitungen und Kundendienst (§ 327e Abs. 2 BGB).
  • Zu den objektiven Anforderungen gehören die „gewöhnliche“ Verwendungseignung und – ebenso wie die Menge, Funktionalität und Kompatibilität – die Zugänglichkeit, die Kontinuität und die Sicherheit der (digitalen) Produkte; auch äußere Umstände wie Werbeaussagen oder andere öffentliche Äußerungen des Verkäufers werden im Rahmen der „üblichen Beschaffenheit“ herangezogen (§ 327e Abs. 3 BGB).

Auffällig ist hier, dass die subjektiven und objektiven Anforderungen Dopplungen aufweisen.

  • Als drittes Element des Sachmangelbegriffs kommen die „Anforderungen an die Integration“, also die Einbindung des Produkts in die digitale Umgebung des Verbrauchers (§ 327e Abs. 4 BGB) hinzu.

Dieser neue Sachmangelbegriff zieht sich durch das gesamte Verbrauchsgüterkaufrecht, insbesondere auch § 475a BGB, wobei in diesem Fall unterschieden wird, ob die Ware (ehemals „Sache“) ihre Funktion auch ohne das digitale Produkt erfüllen kann oder nicht. Wenn ja (z. B. ein Kühlschrank mit dem digitalen Element ‚Einkaufslisten schreiben‘ – dieser kann seine Funktion ‚Kühlen‘ auch ohne dieses Element erfüllen), wird das Sachmangelrecht aufgespalten. Die analoge Ware (Kühlschrank) wird nach dem (Sach-)Kaufrecht, das verbundene digitale Element (‚Einkaufsliste schreiben‘ = Software) nach den neuen Regeln der Bereitstellung digitaler Inhalte/Dienstleistungen gem. §§ 327 ff. BGB (s. o.) behandelt.

Die Aktualisierungspflicht (§ 327f BGB) des Unternehmers bei digitalen Produkten oder Elementen betrifft nach bisherigem Verständnis evtl. nur Sicherheits-Updates, nicht aber Upgrades auf neue oder erweiterte Funktionen. Dagegen spricht allerdings der Wortlaut des zweiten Satzes, wonach zu den „erforderlichen Aktualisierungen […] auch Sicherheitsaktualisierungen“ zählen. Ebenso die Frage, wie lange Aktualisierungen für ein Produkt bereitgestellt werden müssen, ist mit einem neuen unbestimmten Rechtsbegriff belegt und orientiert sich an einem Zeitraum, der für den „Erhalt der Vertragsmäßigkeit“ gilt. Hier stellt sich sofort die Frage nach dem Lebenszyklus eines Produkts und wie diese Dauer ermittelt oder festgelegt wird, wie lange also der „Erhalt der Vertragsmäßigkeit“ dauert.

Dies alles zeigt, dass das Sachmangelrecht sehr komplex geregelt wurde, und erschwert die Handhabung gerade im Zusammenhang mit den neuen, nicht eindeutigen Begrifflichkeiten. Man darf daher gespannt sein, wie sehr die Justiz mit der Auslegung von Praxisfragen in den nächsten Jahren beschäftigt sein wird.


4. Neue Aufklärungspflichten

Gerade im Zusammenhang mit der Aktualisierungspflicht bezüglich der digitalen Elemente bzw. Produkte entstehen für den Unternehmer neue Aufklärungspflichten, die in § 327f BGB normiert sind. Auch Abweichungen von Produktmerkmalen sind nur eingeschränkt zulässig. In diesem Fall muss der Unternehmer den Verbraucher vor Abgabe einer Vertragserklärung über die Abweichung von bestimmten Merkmalen in Kenntnis setzen und diese Abweichung muss ausdrücklich und gesondert vereinbart werden. Hier kann im Online-Handel davon ausgegangen werden, dass der Verbraucher aktiv ein Kreuzchen setzen muss, ähnlich wie bei der AGB-Zustimmung oder der Zustimmung zur Datenschutzerklärung.

Die weitreichenden neuen Informationspflichten des Unternehmens werden vermutlich wieder zu einer Ausweitung der allgemeinen Geschäftsbedingungen führen. Man fragt sich, ob der Gesetzgeber – sowie auch die EU – bei ihrem hohen Anspruch an den Verbraucherschutz wirklich den Verbraucher im Blick haben, der sicherlich nicht noch längere Texte mit Kleingedrucktem lesen und verstehen möchte. Der Verbraucherschutz wird so vielmehr ad absurdum geführt.


5. Neue Verjährungsregeln und Beweislastregeln

Nach dem neuen Recht über digitale Produkte und Dienstleistungen beginnt die Verjährung mit der Bereitstellung des digitalen Produkts. Die Verjährung endet wiederum zwölf Monate nach Ende des Bereitstellungszeitraums (§ 327j BGB), was an die Dauer der Aktualisierungspflicht (s. o. unter Punkt 4) anknüpft und noch viel Interpretationsspielraum bietet.

Außerdem wurde die bisher auf sechs Monate begrenzte Umkehr der Beweislast für das Vorliegen eines Mangels zum Zeitpunkt des Erwerbs/der Bereitstellung nun auf zwölf Monate ausgeweitet. Das heißt, dass ein Mangel an einem digitalen Produkt vermutet wird, wenn gemäß § 327k BGB bis zu einem Jahr nach dessen Bereitstellung ein „abweichender Zustand“ (gemessen am neuen Mangelbegriff und der Aktualisierungspflicht) eintritt. Auch diese Regelung weitet den Verbraucherschutz deutlich aus.


Zusammenfassung

Zum einen ist es begrüßenswert, dass gesetzliche Regelungen getroffen wurden, die der digitalen Entwicklung Rechnung tragen. Allerdings entsteht mit der Fülle der neuen unbestimmten Rechtsbegriffe kein Mehr‘ an Rechtssicherheit. Mit Klagen ist daher zu rechnen.

Der Handel wird sich auf das neue Recht einstellen und im Zweifel aufgrund der neuen Verpflichtungen (Aktualisierungspflicht, neue Informationspflichten, teilweise längere Gewährleistungsfrist, Verlängerung der Regel zur Beweislastumkehr) seine Preise für die (digitalen) Produkte erhöhen.

Ob es im Übrigen sinnvoll ist, digitale Währungen als Zahlungsmittel anzuerkennen, die im Verruf stehen, der Geldwäsche Vorschub zu leisten, ist fraglich – zumal mit Kreditkarten, Uhren, Handys und Echtzeitüberweisungen viele digitale Möglichkeiten bestehen, mit realem Geld schnell und kontaktlos zu bezahlen.


Handlungsbedarf

  • Überprüfung, ob digitale Inhalte bzw. Dienstleistungen gegen Entgelt oder Produkte mit digitalen Elementen an Verbraucher vertrieben werden
  • Gegebenenfalls Anpassung der Prozesse und der AGB an das neue Recht, Erstellen neuer Informationen zur Aufklärung des Verbrauchers und Einführung neuer Prozesse hinsichtlich der Aktualisierungspflichten
Veröffentlicht in Allgemein, Campus4Business, Rechtsberatung, Wirtschaftsprüfung