BFH: Aufwärtsabfärbung auch bei verrechenbaren Verlusten

Aufwärtsabfärbung

Die steuerliche Behandlung vermögensverwaltender Personengesellschaften bleibt für die Praxis anspruchsvoll – insbesondere bei Beteiligungen an gewerblich tätigen Mitunternehmerschaften. Mit Urteil vom 11. Juli 2024 (Az. IV R 18/22) hat der Bundesfinanzhof (BFH) erneut zur sogenannten Aufwärtsabfärbung nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG Stellung bezogen und erstmals klargestellt, dass diese auch bei lediglich verrechenbaren Verlusten nach § 15a EStG greift. Die Entscheidung hat weitreichende Folgen für vermögensverwaltende Gesellschaften, insbesondere bei Beteiligungen mit nur geringem Umfang.

Hintergrund: Was bedeutet „Aufwärtsabfärbung“?

Nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG kommt es zur Umqualifizierung sämtlicher Einkünfte einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft in gewerbliche Einkünfte, wenn sie Einkünfte aus der Beteiligung an einer gewerblichen Personengesellschaft erzielt. Dies wird als Aufwärtsabfärbung bezeichnet. Im Gegensatz zur sogenannten Seitwärtsabfärbung wird dabei nicht die eigene originär gewerbliche Tätigkeit „ansteckend“, sondern die Beteiligung an einer gewerblichen Mitunternehmerschaft wirkt infizierend.

Die Umqualifizierung führt dazu, dass alle Einkünfte – auch aus Vermietung oder Kapitalvermögen – als gewerbliche Einkünfte behandelt werden.

Keine Bagatellgrenze bei der Aufwärtsabfärbung

Bereits mit Urteil vom 6. Juni 2019 (BFH, IV R 30/16) hatte der BFH klargestellt, dass bei der Aufwärtsabfärbung keine Geringfügigkeitsgrenze gilt. Jede Beteiligung an einer gewerblichen Personengesellschaft führt zu einer Infektion – unabhängig von der Höhe der Einkünfte oder der Beteiligungsquote.

Das aktuelle Urteil vom 11. Juli 2024 bestätigt diese Rechtsprechung nun auch für den Fall, dass aus der Beteiligung lediglich ein verrechenbarer Verlust nach § 15a EStG resultiert.

BFH-Urteil vom 11. Juli 2024: Infektionswirkung auch bei verrechenbarem Verlust

Sachverhalt:
Die Klägerin, eine vermögensverwaltende GbR, war zu rund 4,24 % an einer gewerblichen GmbH & Co. KG beteiligt. Im Streitjahr wurde ihr ein Verlust aus der Beteiligung in Höhe von -5.481,13 Euro zugerechnet. Der Verlust war jedoch gemäß § 15a EStG nicht ausgleichsfähig und daher lediglich verrechenbar – der steuerpflichtige Gewinn/Verlust der GbR lag demnach bei 0 Euro.

Entscheidung:
Der BFH bestätigt: Auch ein solcher verrechenbarer Verlust stellt Beteiligungseinkünfte im Sinne von § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG dar. Es sei nicht entscheidend, ob der Gewinn tatsächlich positiv ist oder ein steuerlich wirksamer Verlust vorliegt. Maßgeblich sei allein der „Bezug“ von Einkünften im Sinne der Vorschrift – dieser liegt bereits bei der steuerlichen Zurechnung eines Gewinn- oder Verlustanteils vor, auch wenn dieser nicht ausgleichsfähig ist (Rn. 19, 22–27 des Urteils).

Gewerbesteuerliche Behandlung: Keine Infektion auf Ebene der Obergesellschaft

Die Aufwärtsabfärbung hat keine unmittelbare gewerbesteuerliche Wirkung. Nach der BFH-Rechtsprechung (Urteile vom 6.6.2019 und 5.9.2023) sind die umqualifizierten Einkünfte auf Ebene der vermögensverwaltenden Obergesellschaft für Zwecke der Gewerbesteuer nicht als gewerbesteuerpflichtig zu behandeln. Dies begründet der BFH mit einer verfassungskonformen Auslegung von § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG.

Allerdings wendet die Finanzverwaltung diese Auslegung bislang nicht an. Ein entsprechender Nichtanwendungserlass liegt vor.

Steuerliche Folgen für die Praxis

Die BFH-Entscheidung verschärft die Anforderungen an vermögensverwaltende Personengesellschaften erheblich:

  • Unbeabsichtigte Umqualifizierung: Auch geringfügige Beteiligungen an gewerblichen Personengesellschaften – selbst mit verrechenbaren Verlusten – können zur vollständigen gewerblichen Infektion führen.
  • Einlagewirkungen: Mit der Umqualifizierung wird steuerliches Privatvermögen in Betriebsvermögen überführt. Dies führt zur Verstrickung sämtlicher Wirtschaftsgüter (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 und Nr. 6 EStG).
  • Bewertungsfolgen: Je nach Art und Erwerbszeitpunkt der eingebrachten Wirtschaftsgüter (z. B. Immobilien, Kapitalanlagen) ergeben sich unterschiedliche Bewertungsobergrenzen und ggf. steuerliche Nachteile (z. B. Verlust des Abgeltungssteuersatzes gemäß § 32d EStG).
  • Spezialfälle mit Immobilien: Wird eine Immobilie innerhalb der Spekulationsfrist des § 23 EStG aus dem Betriebsvermögen veräußert, kommt es zur Besteuerung eines privaten Veräußerungsgeschäfts.

Handlungsempfehlungen für die Praxis

Die Entscheidung unterstreicht die Notwendigkeit einer sorgfältigen steuerlichen Überwachung von Beteiligungen vermögensverwaltender Personengesellschaften:

  • Prüfung bestehender Beteiligungen: Bereits geringe Beteiligungen an gewerblichen Gesellschaften können zur Infektion führen – auch wenn keine Gewinne fließen.
  • Vermeidung unbeabsichtigter Infektionen: Fondsgesellschaften oder Family Offices sollten Strukturen und Beteiligungsketten regelmäßig auf gewerbliche Einflüsse prüfen lassen.
  • Dokumentation und Offenlegung: Eine exakte steuerliche Dokumentation der Gewinnfeststellungen und Verlustverrechnungen ist essenziell, insbesondere im Hinblick auf § 15a EStG.

Fazit

Mit dem Urteil vom 11. Juli 2024 hat der BFH die Reichweite der Aufwärtsabfärbung erneut ausgeweitet. Selbst bei lediglich verrechenbaren Verlusten aus Beteiligungen an gewerblichen Personengesellschaften wird eine vermögensverwaltende Obergesellschaft infiziert – eine Geringfügigkeitsgrenze findet keine Anwendung. Für Banken, Vermögensverwalter und Fondsgesellschaften steigt dadurch das Risiko unbeabsichtigter gewerblicher Umqualifizierungen mit erheblichen steuerlichen Konsequenzen.

Quellenangabe:
BFH-Urteil vom 11.07.2024 – IV R 18/22
Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12.12.2019
BFH-Urteile vom 06.06.2019 – IV R 30/16 und 05.09.2023 – IV R 13/20

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